Dienstag, 11. Juni 2019

Morgenrunde - Ein Kulturschock

Ein Zimbelton, zu früher Stunde,
wir sitzen in der Morgenrunde,
wozu, ist uns nicht allen klar.
Ein Grußwort, dann wird angefangen.
Die Neuen fühlen sich gefangen,
die Alten schwärmen: "Wunderbar!"

Ein Tisch steht in der Raumesmitte,
schön dekoriert, nach alter Sitte,
so ganz allein, so sonderbar.
Wir hör'n den ersten Neuen sprechen,
er stellt sich vor, doch sein Gebrechen,
stellt sich als ernstes Hemmnis dar.

Er murmelt leise seinen Namen,
Er denkt sich: "Habt mit mir Erbarmen,
Ihr merkt doch selbst, wie still ich bin."
Die Therapeuten, ohne Gnade,
sie fordern: "Lauter! Wäre schade,
wenn unterging' der Rede Sinn!"

Der Kreis fängt höflich an zu Klatschen,
der Klang, er trifft wie tausend Watschen,
Der Neue wünscht sich: "Weg von hier!"
Schon ist der nächste am Bekunden,
hat seine Hemmung überwunden.
Er sagt, er spiele gern Klavier.

Ein Text wird in den Raum gelesen,
schon wieder ist's umsonst gewesen
der Leser hält den Text für wahr.
Von fünfzig müden Augenpaaren,
die alle nicht an Beifall sparen,
kommt keinerlei Kritik - war klar.

Schon endet sie, die Morgenrunde,
so knapp nach einer halben Stunde,
die Freude überwiegt dabei.
Ein Abschiedsgruß, schon wird gegangen,
zum Ausgang will ich schnell gelangen.
Ich atme auf, ich fühl mich frei.

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